I. Wer ist Péter Magyar?
Im Februar 2024, nach dem am 10. Februar erfolgten Rücktritt der damaligen Staatspräsident Novák und in ihrem Gefolge der Justizministerin und Spitzenkandidatin der Fidesz-Liste zur EU-Wahl Judit Varga, tauchte plötzlich ein Mann mittleren Alters auf der politischen Bühne auf, von dem die meisten Ungarn noch nie etwas gehört hatten. Sein Name in ungarischer Diktion: Magyar Péter.
Dieser Péter Magyar war der 2023 geschiedene Ehemann der bis dato Justizministerin Judit Varga und Vater ihrer drei gemeinsamen Kinder.
Auf den Ehekrach, der vorgeblich die Initialzündung zum Magyars Karrierebeginn als Oppositionsführer gewesen sein soll, soll hier nur am Rande die Rede eingegangen werden. Wir wollen uns auf den Kandidaten als Mensch und Politiker beschränken und einen bestimmten Aspekt der von ihm mit Gleichgesinnten gegründeten Partei beleuchten.
Befassen wir uns zunächst mit einigen Lebensstationen des Oppositionspolitikers nach dem ungarischen Wikipedia, für die es noch keine deutsche Übersetzung gibt.
Péter Magyar (geb. Budapest, 16. März 1981) ist ein Ungarischer Rechtsanwalt, Diplomat, Politiker, de facto Vorsitzender und stellvertretender Vorsitzender der Partei für Respekt und Freiheit (TISZA) sowie Vorsitzender der Gemeinschaft „Auf die Beine, Ungarn“ (das ist die erste Zeile des Nationalliedes von Sándor Petőfi). Am 15. März 2024 kündigte er seine Absicht an, eine politische Partei zu gründen, die eine Alternative zu einer, wie er es nannte, „künstlich gespaltenen“ Gesellschaft bieten sollte, die sowohl von der parlamentarischen Opposition als auch von den Regierungsparteien genervt sei.
Seine Familie
Seine Großmutter mütterlicherseits war Teréz Mádl, die Schwester von Ferenc Mádl (1931-2011), dem Präsidenten der Republik. Ihr Großvater mütterlicherseits war Pál Erőss (1934-2021), ein ehemaliger Richter des Obersten Gerichtshofs, der die Hauptrolle in der vorrevolutionären ungarischen Fernsehsendung „Rechtsfälle“ spielte. Seine Mutter war Mónika Erőss, ehemalige Generalsekretärin der Kúria ( = höchstes Gericht), die im April 2020 stellvertretende Präsidentin des Nationalen Amtes für das Justizwesen wurde.
Seit 2006 ist er mit Judit Varga verheiratet, mit der er drei Kinder hat.
Sein Leben und seine Arbeit
Er studierte in Budapest und Hamburg und schloss 2004 sein Studium an der Juristischen Fakultät der Katholischen Universität Pázmány Péter ab. Er begann seine berufliche Laufbahn am Budapester Stadtgericht und arbeitete nach seinem Staatsexamen im internationalen Rechtsbereich, wo er multinationale Unternehmen bei ihren Investitionen in Ungarn in den Bereichen Gesellschafts-, Handels- und Wettbewerbsrecht unterstützte.
Als Rechtsreferendar war er an der kostenlosen rechtlichen Vertretung und Unterstützung der Opfer der Straßendemonstrationen von 2006 durch die Polizei beteiligt.
Nach den Ereignissen, die am 23. Oktober 2006 zu den Zusammenstößen auf der Straße führten (u.a. Erstürmung des des Gebäudes des staatlichen T, sperrte die Polizei den Kossuth-Platz. Ab Dezember desselben Jahres kündigten Péter Magyar und Gergely Gulyás jeden Freitag Demonstrationen auf dem Platz an, die in der Regel von der Polizei abgelehnt wurden. Das Patt endete, als Fidesz-Politiker die Absperrung im Februar 2007 auflösten. Jahre später gab die Polizei eine Entscheidung heraus, in der sie einräumte, dass die Sperrung unverhältnismäßig restriktiv gewesen sei.
Im Jahr 2007 wurde er Sekretär der Stiftung „Fürchtet euch nicht!“, Kuratoriumsmitglieder wurden seine Verwandten wie unter anderem Pál Erőss, Dalma Mádl sowie Sándor Fábry, Krisztina Morvai und Mária Schmidt (Leiterin des Hauses des Terrors in Budapest).
Im Jahr 2009 zogen er und seine Frau nach Brüssel, da Judit Varga politische Beraterin von János Áder, damals Abgeordneter im Europäischen Parlament, ab 10. Mai 2012 Staatspräsident, war.
2010 setzte er seine Karriere als Mitarbeiter des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten und Handel fort. 2011 wurde er während der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft als Berufsdiplomat in der Ständigen Vertretung Ungarns bei der Europäischen Union tätig.
Ab 2015 war er als teamleitender Diplomat im Büro des Premierministers für die Verbindung zwischen der ungarischen Regierung und dem Europäischen Parlament zuständig, unter anderem in den Bereichen Recht, Finanz- und Kapitalmarkt, Haushalt, Handel und Entwicklungspolitik.
Ab September 2018 leitete er die EU-Rechtsabteilung der Ungarischen Entwicklungsbank.
Vom 8. Juni 2019 bis Februar 2022 war er CEO des Zentrums für Studentenkredite (entspricht in etwa dem deutschen BaFöG-Amt). Danach arbeitete er in der Privatwirtschaft als Rechtsanwalt und Unternehmer.
Im August 2022 wurde er Mitglied des Verwaltungsrats der Ungarischen Öffentlichen Straßen Non-Profit GmbH. Im April 2023 wurde er Mitglied des Verwaltungsrats von Volánbusz, der von János Lázár erneuert wurde.
Am 10. Februar 2024, nach dem Rücktritt von Staatspräsidentin Katalin Novák und dem Ausscheiden seiner Ex-Frau Judit Varga aus dem öffentlichen Leben, trat Péter Magyar in einer öffentlichkeitswirksamen Erklärung von allen öffentlichen Ämtern und Positionen in öffentlichen Unternehmen zurück, um gegen die Behandlung des Gnadenfalls von Katalin Novák, namentlich gegen die Tätigkeit von Antal Rogán, zu protestieren:
„Ich will nicht Teil eines Systems sein, in dem sich die wirklichen Verantwortlichen hinter Frauenröcken verstecken, in dem Tónis, Adams und Barbaras ihnen ins Gesicht lachen können, während sie bedenkenlos diejenigen opfern, die im Gegensatz zu ihnen nie für ihre eigenen materiellen Interessen, sondern für das Wohl ihres Landes und ihrer Landsleute gearbeitet haben.”
Mit dem letzten Satz dieser Passage scheint er auf sich selbst zu zielen. Also auf Deutsch: Leute wie Rógan sahnen ab, unsereiner schuftet (für die Nation).
An seiner Demonstration am 15. März sollen geschätzte 50.000 Menschen teilgenommen haben, an einer weiteren Großdemonstration am 06. April, auf der Magyar die Teilnahme seiner neuen Partei TISZA an der Wahl zum Europaparlament verkündete, ca. 100.000 Menschen. Niemand kann diese Zahlen überprüfen, Tatsache ist aber, dass sich der Zulauf zu dem ehemaligen Fidesz-Diplomaten und Bankier in ganz anderen Größenordnungen bewegt als zum vormaligen Hoffnungsträger Péter Márki-Zay. Dessen hoffnungsvoller Aufbruch war beendet, als sich immer klarer herauskristallisierte, dass seine Wahlkampagne vom Soros-Netzwerk finanziert wurde.
II. Wofür steht Magyars Partei „TISZA“?
Es ist schwer, für eine schnell wachsende politische Gemeinschaft, innerhalb derer ein Scheinwerferstrahl auf Gesichter fällt, die dann wieder im Halbdunkel der Zeitgeschichte verschwinden, auch nur eine Momentaufnahme zu erstellen.
Péter Magyar kündigte auf seiner Demonstration vom 15. März die Gründung einer politischen Bewegung an, die bald darauf unter dem Namen „Talpra magyarok” erfolgte, wie oben erwähnt, nach dem Anfang eines bekannten Liedes von Sándor Petőfi, das weiter lautet: „… das Vaterland ruft!”. Um aber für das EU-Parlament eine eigene Liste aufstellen zu können, musste sich Magyar, der noch über keine eigene politische Vertretung verfügte, einer bestehenden Partei anschließen. Es folgten Gespräche mit verschiedenen Parteien vornehmlich des Mitte-links-Spektrums, u.a. mit der Mindenki Magyarországa Néppárt (Volkspartei für Jedermanns Ungarn, https:// www. mmnp.hu/) des Bürgermeisters vom Hódmezővásárhely, Péter Márki-Zay. Die Verhandlungen mit den schon im Parlament vertretenen Parteien blieben – bei aller Sympathie für die gemeinsame Oppositionsrolle – ergebnislos.
Die Wahl fiel daher schließlich auf die 2020 gegründete Partei für Respekt und Freiheit (TISZA-Partei oder kurz TISZA), die im April 2021 in Eger von ihrem Präsidenten Attila Szabó und den Vizepräsidenten Boldizsár Deák und Erzsébet Somodi gegründet worden war (Post von Magyar am 10.04.2024 auf Facebook https://www.facebook.com/peter.magyar.102/posts/7914384768595902)
Die alte Website der TISZA-Partei ist inzwischen vom Netz und nur noch in Teilen als Webarchiv einsehbar. „Er sagte, er habe sich für die TISZA-Partei wegen ihres sympathischen Namens und ihres Programms entschieden, nachdem er mit mehreren Parteien verhandelt hatte, und die Partei wählte Péter Magyar zu ihrem Vizepräsidenten” (hu.wikipedia). Das alte Programm ist ein Gemisch aus linken und konservativen Forderungen (http://web.archive.org/web/20240410195235/https://tiszteletpart.hu/programunk/). Konzessionen an die Linksopposition sind z.B. die Entlastung der Ärzte und Krankenhäuser von administrativen Aufgaben und sub Punkt 6) „der Anschluss an die EURO-Zone in absehbarer Zeit”, eine Forderung, die zwangsläufig die Abschaffung des Bargeldes nach sich ziehen würde! Ferner wird sub Punkt 7 u.a. der Anschluss Ungarns an die sog. Europäische Staatsanwaltschaft gefordert, klar eine Forderung der Brüsseler Linken, mit deren Erfüllung Ungarn einen wesentlichen Teil seiner Souveränität aufgeben würde!
Das Weblink der TISZA-Partei bei hu.wikipedia leitet nunmehr auf das Portal von Magyars Bewegung talpramagyarok.hu um, nur noch auf einer Unterseite https://szavazas.talpramagyarok.hu/ wird die TISZA-Partei erwähnt.
Es ist fraglich, warum das alte Programm gelöscht wurde und was davon künftig vom Magyar-Kreis wieder aufgegriffen wird. Im letztgenannten Link heißt über die Programmatik der Partei:
„Die TISZA-Partei ist der festen Überzeugung, dass das ungarische Volk eine aktive Rolle bei der Aufstellung der Kandidatenliste spielen muss, damit seine Stimme gehört werden kann. Deshalb haben wir beschlossen, unsere Kandidatenliste direkt auf der Grundlage der von unseren Wählern festgelegten Reihenfolge zu erstellen. Auf diese Weise haben wir sichergestellt, dass die von uns ausgewählten Kandidaten wirklich die Werte und Bestrebungen unserer Gemeinschaft widerspiegeln.“ Es geht – wie auch aus der Forderung nach Direktwahl des Staatspräsidenten durch die das Volk (Programmpunkt 15) hervorgeht, um Einführung direktdemokratischer Elemente in die Verfassung.
Nachdem das Programm, für Magyar ein Grund, sich für die Schattenpartei aus Eger zu entscheiden, als in einigen Punkten als Entgegenkommen an die woken Linken in Brüssel und von der Leyen zu werten ist, bleibt noch der andere angebliche Grund: Der „sympathische Name“ der TISZA-Partei. Wofür mag er stehen, was können die ungarischen Minderheiten, Ungarndeutsche, Kroaten, Serben, Roma, um nur die größeren Minderheiten zu nennen, damit verbinden?
Nun – Tisza, das ist heute zunächst der Name des Flusses Theiss, der durch Szegend fließt, mit ihren Ufern der Sehnsucht nach dem reinen, wahren Madjarenland, die in „Erdély” (Siebenbürgen) und den Waldkarpathen entspringt, durch die unberührte Wildnis der Puszta fließt, unverdorben von den Verlockungen des Westens, kein Disneyland wie Budapest, kein frivoles, babilonisch-sprachverwirrtes Treiben wie am Balaton, hier, wo der „Vérmagyar” sein „hazá” hat, wo die Nachfahren Attilas leben, die wilden Völker der Kun und Jász ansässig sind – der schlicht das Madjarentum verkörpert wie sonst nur Siebenbürgen. Petőfi besang den träge sich windenden Fluß in einem Gedicht, dessen Anfang übersetzt lautet:
DIE TISZA
In der Dämmerung eines Sommertages
bleibe ich an der sich schlängelnden Theiß stehen
Wo der kleine Tur in sie hineinrauscht,
wie ein Kind im Schoße seiner Mutter.
Der Fluss so glatt, so sanft
In seinem schuhlosen Lauf,
möchte er nicht, dass die Sonnenstrahlen
Über die Locken seiner Gischt stolpern.
Man beachte, dass das Ungarische hier kein Geschlecht kennt, Flüsse wie auch die Duna (Donau) meist eher weiblich gelesen werden. „Das Ungartum ist mit der Theiß stärker verbunden als mit anderen Flüssen, was sich darin widerspiegelt, dass sie der am häufigsten in Volksliedern und Gedichten besungene Fluss ist”, heißt es im ungarischen Wikipedia, und weiter: „Sie wird oft mit verschiedenen Beinamen bezeichnet (z. B. blond, wild, stürmisch, gewunden) und gilt allgemein als launischer, aber geliebter Fluss. Bis 1920 wurde sie auch der ‘ungarischste Fluss’ genannt, da sie in ihrer gesamten Länge durch das Gebiet des historischen Ungarns floss.”
Diese Konnotationen sind auch uns Deutschen auf Anhieb sympathisch – wäre da nicht ein Beigeschmack:
„Nincs jobb, nincs bal, csak magyar”, nicht rechts, nicht links, nur Ungarn,
riefen Parteigänger von Péter Magyar auf einer Demo, anscheinend auf der vom 06. April, in Budapest.
„Nicht rechts, nicht links, nur Christ und Ungar”, Se nem jobb, se nem bal, keresztény és magyar.
war vor einem Vierteljahrhundert der Slogan der rechtsradikalen, von dem Schriftsteller István Csurka geführten MIÉP, aus der die Jobbik wie auch die hungaristische Partei Mi Hazánk hervorgingen.
https://mandiner.hu/velemeny/2022/02/belfold-csurka-istvan-velemeny-rakay-philip
Es ist die Art von Hungarismus, mit der die ethnischen Minderheiten in Ungarn seit, ja seit wann? leben müssen. Eben seit der Zeit des Ministerpräsidenten István TISZA (1861-1918, Ministerpräsident 1903-1905, 1913-1917), der durch seinen radikalen Magyarisierungsprozess die nicht-österreichischen Nationen des kaiserlich-königlichen Vielvölkerstaates gegen sich aufbrachte und damit nicht ganz unwesentlichen Anteil am Attentat von Sarajewo 1914 auf den habsburgischen Thronfolger und seine Gattin hatte (er sprach sich gegen militärische Vergeltungsmaßnahmen gegen Serbien aus). Vor allem die ungarndeutsche Minderheit schmolz unter Tisza rapide zusammen.
Es gibt noch einen weiteren Grund zu skeptischer Distanz gegenüber den Fidesz-Abtrünnigen um Magyar: Es ist nicht sicher, inweitweit der woke Virus nicht auch hier Fuß gefasst hat und das Vorstehende damit nicht nur billiger Populismus und Wählertäuschung ist. Denn die Nr. 2 in der Liste zur EP-Wahl, die lange in London und Cambrigde lebende, polyglotte Dóra Dávid, fordert in ihrer Kandidatenrede erneut den Anschluss Ungarns an eine „Europäische Staatsanwaltschaft” gemäß Punkt 7 des alten Parteiprogramms der TISZA! Siehe hier im Video ab 01:22:
Redaktion Sopianae.eu