Am 21.07.2020 wurde der Chefredakteur des wohl größten linken ungarischen Nachrichtenportals „index.hu“, Szabolcs Dull, vom Vorstand der Stiftung, die das Presseorgan seit sieben Jahren trägt, László Bodolai, entlassen. Am nächsten Tag kündigte fast die gesamte „index“-Redaktion, 70 Mitarbeiter, und das Herausgeberkollegium. Die vereinigte Budapester Linke, inkl. der „rechten“ Jobbik, witterte einen Angriff der Regierung auf die Pressefreiheit und veranstaltete am Freitag einen Marsch zum Sándor-Palast, dem Sitz des Staatspräsidenten Áder. Doch worum geht es eigentlich?
Ein gestern Abend geführtes Interview mit Bodolai im Rahmen der atv.hu-Liveshow „Individuelles Gespräch“ (Egyenes Beszéd) von Egon Rónai wirft ein anderes Licht auf die Vorgänge.
In dem Interview geht es verständlicherweise um die Hintergründe, warum Bodolai seinen Chefredakteur Dull, der dieses Amt erst seit Dezember 2019 innehatte, feuerte. Wegen Verrats von Geschäftsgeheimnissen, Dull soll über Interna geplaudert haben, könnte man die vielen Gesprächsfäden zusammenfassen.
Index befindet sich in einer schwierigen Umstrukturierungsphase. In dem Interview wurde ein (am 15.07. ausgepiffener) „Gerényi-Plan“ erwähnt. Der Plan – verstehen wir jedenfalls – besteht im Großen und Ganzen darin, die „Oberfläche index.hu einheitlich zu halten, „darunter” aber einzelne „Redaktionseinheiten” wie z.B. dem Videoportal Indamedia als „selbständige” Firmen (? Einheiten?) „auszugliedern“ (was bei Indamedia de facto bereits der Fall ist). Das schmeckte natürlich Dull und vielen Redakteuren vom alten, linksorientierten Stamm nicht.
Gerényi ist der Gründer von index. Das Pikante daran ist: Er ist 50%-Teilhaber von Indamedia und ZUGLEICH Teilhaber des Portals azonnali.hu, das als Organ des LMP-Abgeordneten Péter Ungár gilt. Wollte sich die 3%-Partei LMP einen größeren Einflußbereich sichern? Und Konkurrenten wie die DK zurückdrängen? Aber so einfach ist die Sache nicht, wie aus einem Bericht über Gerényi und seine Rolle als index-Berater bzw. seinen Plan mit dem Avantgarde-Portal hervorgeht. Es scheint Bodolai mehr um Loyalität zu seiner Linie und Person als zu einer bestimmten politischen Richtung zu gehen.
Denn während Dull gefeuert wurde, berief Bodolai einen „alten Freund“, den Redakteur und Mitbegründer der eher konservativen (aber nicht der Fidesz zugeneigten) Online-Plattform Válasz Online, András Sztankóczy, in den Vorstand der Index AG. Über Dull, der sich als Chefredakteur systematisch mit den Führern linker Parteien abgesprochen haben soll, wurde inzwischen bekannt, dass er das Ansinnen des Kampagnenleiters der für die Autonomie der Székler kämpfenden Unterschrifteninitiative „Írd alá“ („Unterschreibe!“), Lászlo Pesty, Dull und Index mögen bitte den Kampf für die Selbstbestimmung der ungarischsprachigen Minderheit in Rumänien unterstützen, mit den Worten zurückgewiesen haben soll: „Hello, damit leben wir nicht!“, die Sache der Székler habe „keinen Nachrichtenwert“.